28. Gig – So wild geht es zu bei den Land-Studis
Neulich auf dem Ohrenschmauss gab es das beste Publikum, das wir je hatten. Die Leute hier gehen alle auf die nahgelegene Landwirtschafts-Uni in Triesdorf. Die waren mega offen – schöne Mischung aus der Unbekümmertheit vom Lande und der Toleranz von Student*innen.
Das Ohrenschmauss ist hier die halbjährliche Semesterparty. Die Party hat eine langjährige Tradition, und passiert immer in einer Dorf-WG mit eigenem Haus, Garten, und Scheune – in der Scheune war dann auch die Bühne aufgebaut. Es waren gut 100 Leute da, von denen hier auch einige schon gewohnt haben; es gab Kennenlernspiele, Kleidertausch-Wühltische, und eine sehr nette Athmosphäre.
Wir waren als letztes dran von vier Acts. Das ist oft so, weil unsere Musik relativ tanzbar ist und man von da gut zum Raven überleiten kann. Aber hier haben die Leute schon beim Soundcheck getanzt, die hatten richtig Bock. Das hat ziemlich krass die Vorfreude geweckt und hohe Erwartungen gesetzt – in den nächsten Stunden kamen sieben Leute auf mich zu und meinten, dass sie sich schon voll auf uns freuen.
Als erstes kamen zwei Studentenrapper aus der Gegend dran, die ihren ersten Auftritt zusammen hatten. Dafür waren sie ziemlich gut, der eine war ein geborener MC und hat die Crowd richtig gut mitgenommen. Immerhin kannte er auch quasi alle. Die hatten auch eine Trompete (oder Posaune?) dabei, das kam richtig gut.
Als nächstes haben Wollstiefel gespielt, die ich auch schon mal im Projekt 31 gesehen habe. Die waren auch richtig gut, und das war quasi ein Heimspiel für sie – die treten seit Jahren regelmäßig auf dem Ohrenschmauss auf, viele Leute kannten ihre Texte, und freuten sich umso mehr über neue Songs.
Und hier ging das Publikum richtig ab. Also Moshpits und Crowdsurfing erlebt man ja schon immer mal wieder. Aber bei einer Akustik-Punk-Kombo? Nicht in einem dunklen Keller, sondern bei Tageslicht? Not bad. Immer wieder schleuderten sich Leute gegenseitig meterweit durch die Menge, oder rannten rückwärts durch den Pit um Leute mit ihrem Hintern wegzustoßen.
Das klingt jetzt mackrig – war es aber null. Geschätzt drei viertel der Anwesenden waren weiblich gelesen (und waren mindestens genauso wild wie die männlich gelesenen Leute), es gab einiges an offener Homo-/Bisexualität, und ich war zwar plusminus als einziges sichtbar trans, aber das war auch kein Problem.
Die Leute hatten eher super wenig Berührungsängste, das hat mich glaube ich am meisten… befremdet? beeindruckt? Ich habe ja nach wie vor Respekt vor Corona und trage in geschlossenen Räumen Maske, solange mehr als 10 Leute ohne Maske dabei sind. Ich habe seit Beginn der Pandemie gelernt, Leute nicht ungefragt anzufassen, vor Umarmungen nachzufragen (und ein Nein zu akzeptieren). Hier waren Umarmungen fürs Leute kennenlernen normal. Das war schon ein ziemlicher Kontrast. Eine ziemlich wilde Party also.
Nach Wollstiefel spielte noch ein anderer Akustik-Punk, der bei manchen Songs noch einen zweiten Sänger mit auf die Bühne holte; das war allerdings ein bisschen ruhiger als Wollstiefel, und mit englischen Texten. Bis wir dann schließlich dran waren, war es längst dunkel und fast 23 Uhr.
Wir sollten gerade anfangen, dann kam der große Dämpfer – in Gestalt eines älteren Hetero-Ehepaares, die wütend die Bühne stürmten, anfingen die Anlage auszuschalten, und sich über die Lautstärke zu beschweren. Wir waren ein bisschen perplex und wussten nicht, wie wir da reagieren sollten – war ja nicht unsere Party.
Kurz darauf kamen die Leute aus der WG und fingen an mit ihnen zu verhandeln – es waren wohl die Vermieter*innen. Mit den Nachbarn war die Party nämlich durchaus abgesprochen. Nach einigem hin und her einigten sie sich darauf, den Sound ordentlich leiser zu drehen, und dass wir etwas kürzer als geplant spielen sollten…
Und das hat mir dann schon viel von dem Spaß genommen. Ich war in den letzten Stunden auf ein wild eskalierendes Publikum eingestellt worden, aber dadurch dass wir leiser drehen mussten, ging bei denen schon auch die Luft raus. Wenn jemand rumschrie, übertönte das direkt die Musik – so kann man einfach nicht abgehen.
Es gab schon trotzdem Eskalation und Pogo, so dass ein Mensch zum Beispiel auch sehr unsanft mit dem Rücken gegen die Kante der Bühne flog – schmerzhaft, aber zum Glück ohne bleibende Schäden. Aber so hoch wie die Erwartungen zu dem Zeitpunkt schon waren, hätten sie vielleicht auch ohne die klassenfeind-liche Intervention nicht erfüllt werden können.
Was ich auch noch sehr schön fand – beim Kleidertausch fand Phant einen Billie-Eilish-Pulli, der mir prima passt <3 und er hat auch einige punkig ausgebleichte Flecken, damit meine Punk-Credibility nicht völlig verloren geht. Ich finde Billie Eilish ja mindestens so punkig wie Miley Cyrus, aber… dahingestellt.
Und so mussten wir am nächsten Tag dann auch sehr früh wieder einen Zug nach Nürnberg nehmen, damit ich auf einer Raddemo – von einem Lastenrad aus – Kinder mit Liedern über Waldbesetzungen und Ökoterrorismus beschallen konnte… doch das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.