37. Gig – Ein neuer Lebensabschnitt

Liebes Tagebuch, bei unserem letzten Konzert begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Aber von Anfang an:

Nachdem es uns in der letzten bayerischen Kleinstadt so gut gefallen hat, dachten wir uns, das machen wir gerne wieder. Und zum Glück hat Jona aka glitch butch uns nach Dachau eingeladen, um dort auf der Afterparty des Christopher Street Day zu spielen!

Wir haben also grob geprobt – allerdings aus Zeitgründen nur die Hälfte der Songs. Ich hab mich schon lange nicht mehr so schlecht vorbereitet gefühlt… aber was solls.

Als wir in Dachau ankamen, legten wir kurz unser Equipment ab, und gingen dann erstmal auf die Demo. In Nürnberg ist der CSD ja schon etwas ausgelutscht, sodass es seit letztem Jahr einen unkommerziellen CSD gibt.

Jona hat als Orga-Mensch auch Rede gehalten, die war sehr toll, obwohl sie echt lang war – aber sie war eben nicht gut verpackte 3 Minuten-Propaganda, sondern kam sehr vom Herzen. Und manchmal kann man nicht alle wichtigen Dinge kurz fassen. Es ging sehr viel ums Selbstbestimmungsgesetz, den aufkeimenden Faschismus und wie man damit umgehen soll. Wichtig dieses Thema anzusprechen, gerade in Dachau, wo die KZ-Gedenkstelle mahnt was es bedeutet, wenn rechtes Gedankengut in die Tat umgesetzt wird… es fällt wohl niemandem leicht zu sehen dass rechte Tendenzen nicht einfach mit der alten Generation wegsterben, sondern sich mitten unter uns festsetzt, und teilweise auch in unseren eigenen Köpfen kleben bleibt.

Ein Bild von Namis & Phants Beinen, im Hintergrund kann man die Demo erkennen.
Im Hintergrund sieht man ein kleeein bisschen was von der Kundgebung.

Nach den Redebeiträgen machten wir uns auf den Weg. Die Musik war toll, die Menschen waren ein schöner bunter Fleck inmitten der trostlosen bayerischen Kleinstadt, und sogar das Wetter spielte mit. An den Blicken der Passant*innen war zu erkennen, dass das erst der zweite CSD in Dachau war – die waren unseren Anblick ganz offensichtlich nicht gewohnt. Das war echt anders empowernd als in Nürnberg, wo man nur durchs Tanzen auf der Straße eben nichts bewegen kann.

Danach ging es zum Freiraum Dachau, dem örtlichen Autonomen Zentrum. Vor uns hat Cable Salad gespielt, und weil der Name bei ihnen Programm ist, war vor dem Konzert auf der Bühne leider kein Platz für uns zum soundchecken, das konnten wir erst nach ihrem Auftritt machen. Das hat mich etwas nervös gemacht, aber das war vernachlässigbar.

Cable Salad ist eine Schulband, die gerade kollektiv ihr Abi gemacht hat, und vor allem Coversongs spielt, aber sie haben mich echt vom Hocker gehauen! Die Bassistin hatte sofort meine Sympathien, als sie beim Line Check Hysteria von Muse angespielt hat – was auch immer das erste Lied ist das ich spiele um zu schauen ob der Bass funktioniert. Ansonsten E-Gitarre, Schlagzeug, und drei queere, sehr gute Sänger*innen, die richtig gut mehrstimmig gesungen haben, und immer mal wieder auf Keyboard und Geige(!) ausgewichen sind.

Dreistimmiger Gesang bei einer Schulband? Not bad, ich bin in dem Alter ja schon daran gescheitert, überhaupt drei Leute in einer Band zu halten. Und als sie dann Queen, System of a Down, und die Ärzte gecovert haben, konnte ich nicht anders als es zu feiern.

Die zweite Band fiel leider aus, also kamen wir als nächstes dran. Dafür durften wir länger spielen.

Als zweiten Song spielten wir _euphoria – einmal, weil es natürlich gut kommt bei einem CSD, aber auch weil für mich ein besonderer Tag war. Am Tag vorher war ich bei der Apotheke gewesen, und mich entschieden, dass eine Bühne genau der richtige Ort ist, um eine Hormontherapie zu beginnen.

Also drehten wir während dem Song die Musik leiser, damit ich „ein paar neue Body-Mods, ein paar Östrogen-Smarties“ endlich wahr machen konnte. Zum Glück hat Ron den Moment für euch festgehalten:

Die meisten Leute würden so etwas intimes vermutlich nicht vor lauter fremden Leuten machen wollen, in der verwundbaren Situation auf der Bühne. Doch ich habe gelernt, dass die Flucht nach vorne für mich manchmal genau das richtige ist. Es ist nicht einfach vom Zehner zu springen; aber indem ich mir einreden konnte, dass ich diesen wichtigen Schritt jetzt für einen billigen Bühneneffekt ausnutze, fiel es mir viel leichter es durchzuziehen.

Ich weiß noch nicht, wo mich diese Reise hinführt, wie lange ich auf Estradiol bleiben werde, und ob es das richtige für mich ist. Letztes Jahr habe ich mich zum Beispiel noch nicht getraut. Aber Transition ist eine Reise, ich bin nomadisch veranlagt, und manchmal kann man vom nächsten Hügel aus besser sehen wo es als nächstes hingehen soll.

Ich weiß nur eins – mit den Menschen gestern, das war genau das richtige Umfeld und genau der richtige Moment dafür.

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