35. Gig – Für Selbstbestimmung und Sichtbarkeit
Wie letzes Jahr schon wurden wir wieder gefragt, ob wir in Nürnberg auf dem Trans Day of Visibility spielen wollen. Aber trotzdem war dieses Jahr alles anders.
Eine Woche vorher war der Aktionstag für trans*Gesundheit – in vielen Städten gab es Aktionen, um leichteren Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu erkämpfen, zum Beispiel in Göttingen, Lüneburg, und Leipzig. Ich selbst war in Halle unterwegs:
Zum Trans Day of Visibility gab es dieses Jahr in Nürnberg keine Kundgebung, aber dafür das ganze Wochenende ein volles Programm – Ausstellung, Kleidertausch, und am Sonntag eben ein Konzert im Projekt 31 mit 5 Acts, die alle zu mindestens 50% der Besetzung trans und/oder nichtbinär waren.
(Ein paar Eindrücke von der Ausstellung:)
Das Konzert war auch „TIND + Begleitung“ (trans, inter, nichtbinär, detrans), und ein paar Leute die sonst zu unseren Auftritten kämen, kamen dann deswegen nicht: „das kann ich als cis Frau dann auch mal auslassen“. Aber es waren trotzdem in etwa so viele Leute da wie sonst auch, vor allem weil die Veranstaltung als ganzes natürlich viele Leute gezogen hat.
Schön war, dass bei Orga, Technik, und den anderen Bands quasi überall Freundis von uns dabei waren. Insgesamt haben (in der Reihenfolge) Wutholz, Trannarchy, Abfahrt auf Gleis Bier, dann wir, und am Ende noch Last Boys Left gespielt.
Meine Stimmung war den Großteil des Tages aber eher schlecht, auch weil ich in Szene-Kontexten schnell das Gefühl habe ich müsste i-was performen. Ich wäre glaube ich lieber zuhause im Bett geblieben als unter Menschen zu gehen, aber Konzerte stehen ja immer schon lange vorher fest. Wenn man als vorletztes spielt darf man erst spät mit trinken anfangen; es wurde tatsächlich besser als ich mir ein Radler geholt habe.
Als wir dann wirklich performt haben, ging es mir aber richtig gut 🙂 im Gegensatz zu meiner Alltags-Attitüde kann ich bei unserer Musik mittlerweile davon ausgehen, dass es gut ankommt.
Was mich auch im Vorhinein runtergezogen hat: eine Freundin von mir hat relativ heftige Kritik an _herrscher, weil der Song ihrer Meinung nach transfeindliche Narrative reproduziert. Ich habe den Song deswegen schon abgeändert, ursprünglich hieß es mal „ich will nur nie wieder Täter sein“. Damit singe ich über die Dysphorie und Scham, die ich wegen männlicher Sozialisierung fühle.
Aber der Song kann immer noch sehr leicht falsch verstanden werden – transfeindliche Reaktionäre behaupten zum Beispiel gerne, dass trans Frauen wegen männlicher Sozialisierung genauso gefährlich sind wie Männer, und bauen damit zum Beispiel auf Krimis auf, in denen Männer sich als Frauen verkleiden um Morde zu begehen, wie bei Mittsommermord von Henning Mankell. Diese Mythen lassen sich schwer abbauen, und wenn meine Lieder sie reproduzieren hilft das nicht weiter.
Dennoch hat der Song mir sehr geholfen, meine eigene Dysphorie besser zu verstehen, und ist mir deswegen wichtig. Ich hatte überlegt, ihn also trotzdem zu spielen, auch weil in einem Safer Space wie einem TIND+Begleitung-Konzert sich vermutlich niemand von solchen Narrativen beeindrucken ließe.
Aber vor dem Konzert diskutierte ich noch einmal mit ihr darüber, und entschied mich dann ihn doch wegzulassen und stattdessen _weg zu spielen – der kommt immer gut, und ist auch nicht sooo themenfremd. Das Gefühl, sich in Familie, Schule, und Szene eingesperrt zu fühlen, kennen quasi alle trans Personen. Leider hatten wir den nicht geübt, und dadurch lief er auch nicht so perfekt, aber das merkt ja ohnehin nie jemand, wenn man sich verspielt 😁
Einen anderen Song haben wir aber gespielt, bei dem wiederum Phant sich nicht 100% sicher war ob es sich den traut – bei _twinks geht es ja um die Nacktheits-Debatte in der linken Szene, und auch das P31 hat eine feministische Policy, dass man sein T-Shirt anbehalten soll.
Die „Free-the-Nipple“-Bewegung fordert ja eigentlich Oberkörperfreiheit für alle; aber der derzeitige feministische Konsens ist eher (frei nach dem Satz „until all are free, no one is free“) dass alle ihre Shirts anbehalten können, solange sich nicht alle trauen, sie auszuziehen. Und das ist nicht damit getan, dass man es allen erlaubt – sozialer Druck, Gewalt in Beziehungen, und andere Hemmnisse lassen sich leider nicht durch eine Regel wegdefinieren.
Aber wann ist es dann soweit, dass alle sich trauen würden, ihre Shirts auszuziehen? Würden wir es überhaupt merken wenn die anderen Hindernisse für eine freie Körper-Kultur sich erledigt haben, die Regel aber noch existiert? Und wie sollen wir dahin kommen, wenn Körper weiter tabuisiert werden?
Das wird in dem Song nur am Rande diskutiert, im Song geht es vor allem um schwule Körperlichkeit – was haben schwule Menschen mit patriarchaler Unterdrückung zu tun, und warum sollen sie sich an ein Verbot halten das für ein heterosexuelles Problem da ist?
Bei dem Auftritt kam der Song aber einfach nur gut an, ohne dass die Debatte nochmal aufgemacht wurde. Ein nichtbinärer Mensch mit zur Seite getapeten Brüsten knöpfte bei dem Song zum Beispiel das Hemd auf, behielt es aber im großen und ganzen an. Nicht ganz im Wortlaut der Regel, aber ein Schritt in die richtige Richtung?
Ich selbst traue mich derzeit aus Dysphorie vor den meisten Menschen nicht, mein Shirt auszuziehen; früher habe ich das aber sehr genossen. Vielleicht würde es mir mit Brüsten tatsächlich leichter fallen als jetzt. Vielleicht würde patriarchaler Druck es aber auch wieder schwerer machen.
Was den Tag für mich aber auf jeden Fall gerettet hat, war dass _womanhood ein Mensch explizit gefragt hat, wo man den Song online findet.
Genau dafür mache ich Musik.